Haiti, 12. Januar: Ein Tag, fast wie jeder andere...

Markus Häfliger ist zurzeit in Haiti und unterstützt die Delegation das SRK. Für unseren Blog berichtet er über seine Erlebnisse.

Wie gedenkt man einer Jahrhundertkatastrophe? Was tut eine Stadt, die exakt auf dem Epizentrum eines Erdbebens der Stärke 7,0 lag, zwei Jahre danach?

Der Bürgermeister von Léogâne tut gar nichts. Ein Gedenkakt zum Jahrestag? Die Einwohner schütteln bloss den Kopf. Wohl hat die haitianische Regierung den 12. Januar zum Feiertag erklärt und auch die einheimischen Angestellten des Schweizerischen Roten Kreuzes haben heute frei. Doch ansonsten ist es ein Tag wie jeder andere. Marktfrauen bieten Mangos und Mandarinen feil. Neben dem städtischen Markt wird eine Kuh geschlachtet. Jugendliche füllen an Wasserstellen ihre Plastikkessel und tragen sie auf dem Kopf nach Hause.

Alltag in Léogâne, einer Stadt so gross wie Bern, 35 Kilometer ausserhalb der Hauptstadt Port-au-Prince. 5000 bis 10'000 Todesopfer hat das Erdbeben hier gefordert. Mehr als die Hälfte aller Häuser wurden zerstört.

Ganz in der Nähe, im Bergdorf Palmiste-à-Vin engagiert sich das SRK beim Wiederaufbau. Auch dort war die Zerstörung immens. Rund 600 Häuser wurden unterdessen wieder aufgebaut. Doch die Wunden der Katastrophe sind noch längst nicht verheilt.

Plötzlich ertönt von irgendwo her Blasmusik. Langsam nähert sich der Umzug, man hört auch Gesang. Angeführt wird der Umzug von einem Mann an zwei Stöcken, der so laut singt, dass er sogar die Musik übertönt: "C'est le dieu éternel qui nous a donné la vie."


Pierre Richard Tranchant (vorne links) führt den Umzug an.
 Der Mann heisst Pierre Richard Tranchant und ist Präsident des Behindertenvereins von Léogâne, der den Umzug organisiert hat. Diabetes hat ihm eines seiner Beine geraubt; viele seiner Kollegen im Umzug sind beim Erdbeben zu Behinderten geworden. "Wir sind hier, um der Opfer des Erdbeben zu gedenken", ruft er im Vorbeigehen. Die Sonne treibt den Schweiss auf seinen kahlen Kopf.

Auf einem schmalen Stück Land zwischen Hauptstrasse und Friedhof ist die Gruppe am Ziel. Es ist das Massengrab des 12. Januar 2010. Hier wurden nach dem Erdbeben die Toten bestattet. Ein paar weiss und schwarz gestrichene Steine und ein einfaches metallenes Kreuz markieren das Grab. Offenbar hat jemand noch kurzfristig die Farbe aufgefrischt; ein Farbkübel steht noch da.

Die Brass Band spielt auf dem schmucklosen Grab der Opfer des 12. Januar 2010
Der Zug kommt zum Stillstand. Pierre Richard Tranchant betet mit lauter Stimme das Vaterunser. Rund 150 Menschen und ein paar Journalisten umringen ihn. Viele weinen. Einer setzt zu einer bitteren Rede an. Er kritisiert den Bürgermeister, die haitianische Regierung, Amerika. All jene, die sich zu wenig um die Behinderten kümmerten. "Unser Leben ist noch nicht zu Ende", ruft er all den Offiziellen zu, die nicht anwesend sind.

Ein Mann und eine Frau legen Blumenkränze nieder. Dann zerstreuen sich die Schaulustigen. Es ist ein Tag fast wie jeder andere am Epizentrum.
Auf dem Massengrab der Stadt Léogâne werden Kränze für die Erdbebenopfer niedergelegt.
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Das SRK in Haiti

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